Es mag auf den ersten Blick nicht sonderlich erschütternd sein, dass unter den vielen Einsparungen und Einschränkungen des Bildungssektors auch der Ethikunterricht für die Sekundarstufen, das heißt für die Gymnasien und Oberstufen an den berufsvorbereitenden Mittelschulen, nicht eingerichtet wird.

Und gewiss: Tagesbetreuung, Neue Mittelschulen, Ganztagsschule - die Fetische der sich nahezu durch ein Jahrzehnt hinziehenden Bildungsreform - mögen auch im öffentlichen Bewusstsein Vorrang haben. Tatsächlich aber ist Verzicht auf einen Ethikunterricht mehr als ein oberflächliches Symptom dafür, wohin die Bildungspolitik in Österreich generell zu steuern scheint - in Richtung Bildungsverzicht.

Es ist schon seltsam: Da waren sich vor wenigen Monaten - nach den jahrelangen Diskussionen auf Parteienebene, die nahezu zu einem Kulturkampf ausarteten, plötzlich alle einig geworden - inklusive der Kirchen, die lange Zeit eine Konkurrenz zum Religionsunterricht befürchteten. Und just in dem Moment, da sich die Gemüter endlich beruhigt hatten und auch die ÖVP ihre Bremserfunktion aufgab, wird nun von der Bildungsministerin das Aus aus budgetären Gründen verkündet. Dabei beträgt das Startkapital für die Einführung dieses Unterrichts 2011 nur ganze 2,7 Mio. Euro.

Dass angesichts des Booms ethischer Fragestellungen diese nunmehr wieder auf die Ebene der Schulversuche zurückgeschraubt werden sollen, ist bei allem Respekt vor den Notwendigkeiten der Budgetsanierung schlechthin unverständlich. Ein Staat, der sich rühmt, jedes Schulzimmer mit PCs, Internet und Laptops ausstatten zu wollen, sollte eher für die Fragen nach Lebensorientierung und nach Sinnzusammenhängen Geld ausgeben statt fragwürdigen Modernisierungszwängen zu folgen. Ethik, vor allem angewandte Ethik, erlebt eine nie dagewesene Hochkonjunktur: kein Symposion der Biologie, der Hirnforschung, der Medizin und vor allem der Ökonomie, aber auch der Technik und der Informatik kommt ohne Ethiker aus , auch wenn die Ethik natürlich manchmal die Funktion eines Ornaments oder Feigenblattes zu erfüllen scheint

Ethik im weitesten Sinn ist ja nicht wie Moral eine Ansammlung von Geboten und Verboten, sondern eröffnet als eine reflexive Wissenschaft bezüglich der sittlichen Ziele unseres Handelns ein weites Feld: Fragen nach dem Sinn unseres Handelns, Fragen, wie mit dem Anderen umzugehen sei, wie wir uns angesichts einer kalten und durchökonomisierten und durchtechnisierten Welt zu positionieren vermögen, wie wir mit Gut und Böse umgehen sollen, sind Fragen, mit denen gerade junge Menschen immer wieder konfrontiert werden.

Wie sehr dies auch von Jugendlichen akzeptiert wird, zeigen nicht nur entsprechende Umfragen, sondern auch die erhobenen Daten: Es gibt derzeit in Österreich auf der Basis der Schulversuche 12o Schulen, in denen der Ethikunterricht angeboten wird. Die Akzeptanz unter den Schülern ist nicht allein wegen der zunehmenden Säkularisierung unserer Gesellschaft und der zunehmenden Verbreitung nichtchristlicher Religionen stetig im Wachsen begriffen.

Was die Ausbildung der Ethik- Lehrer betrifft, hat die Universität Wien seit 2002 eine Vorreiterrolle eingenommen: Der fakultätsübergreifende Universitätslehrgang "Ethik" stellt eine Zusatzausbildung für Lehramtsstudenten dar und will mit seinem Volumen von vier Semestern und 48 Wochenstunden eine solide Ausbildung künftiger Ethiklehrer sicherstellen, ist aber auch für andere Studienrichtungen offen. Mit einem Stand von 5o Teilnehmern im laufenden Semester und bisher 4o Absolventen ist dieser Lehrgang ein wesentlicher Beitrag zu einer interfakultären Ausbildung, in die - um nur einige Fachbereiche zu nennen - Politik, Religions- und Rechtswissenschaften ebenso einbezogen sind, wie fast alle Gebiete der angewandten Ethik. Inzwischen werden diese Lehrgänge auch von den anderen österreichischen Universitäten angeboten.Ethik ist kein Luxus, auch wenn es einer Fit-und Fungesellschaft so erscheinen mag, sondern ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens in der Gemeinschaft.

Dass ökonomische Zwänge nun das Aus für den Regelunterricht Ethik herbeigeführt haben spiegelt nur unsere derzeitige gesellschaftliche Situation wider. Aber vielleicht ist die Politik darüber gar nicht so unglücklich. (Peter Kampits, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 4.11.2010)